Interview Helmuth Prieß in Freitag 13 - Die Ost-West-Wochenzeitung


Mehr Geist, weniger Korps-Geist

IM GESPRÄCH - Helmuth Prieß, Oberstleutnant a. D. und Sprecher des "Darmstädter Signals", über "archaische Kämpfer" in der Bundeswehr, den Coesfeld-Prozess und die "Leutnant-70-Bewegung"

Reinhold Robbe (SPD), Wehrbeauftragter des Bundestages, hat in seinem Jahresbericht "Schimmelpilz in den westdeutschen Kasernen der Bundeswehr" beklagt. Er sprach von abbruchreifen Gebäuden - während im Osten die meisten militärischen Einrichtungen saniert worden seien, befände sich in manchen Kasernen West noch Mobiliar aus den Fünfzigern. Auch durch diese Missstände könnten das Renommee der Bundeswehr und das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform Schaden nehmen. Prompt forderten Verteidigungsminister Jung (CDU) und der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Oberst Gertz, ein aufgestocktes Verteidigungsbudget.

FREITAG: Nachdem der Wehrbeauftragte seinen Bericht vorgelegt hat, fordert nun Verteidigungsminister Jung mehr Geld für die Bundeswehr - wie denken Sie darüber?
HELMUTH PRIESS: Ich halte das eher für ein Ablenkmanöver, denn die Bundeswehr hat wahrlich wichtigere Probleme. Zum Beispiel brauchen die Soldaten endlich Rechtssicherheit und klare Rahmenbedingungen, wenn sie zu Auslandseinsätzen befohlen werden. Außerdem gehen die Prinzipien der Inneren Führung und das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform zunehmend verloren. Statt des mitdenkenden Einzelkämpfers steht der archaische Kämpfer - erzogen zur Kriegstüchtigkeit - im Vordergrund von Ausbildung und Erziehung. Es fehlt einfach an qualifizierter politischer Bildung und ebenso an qualifizierter Ausbildung zu sozialer und interkultureller Kompetenz. Ganz zu schweigen von einer mangelhaften Unterweisung in Rechtsfragen.

In Münster stehen gerade ein Ex-Kompaniechef und weitere 17 Angeklagte vor dem Landgericht, weil sie 163 Wehrpflichtige gequält und gedemütigt haben sollen. Was sind das für Bundeswehrangehörige, die offenbar selbst vor den Schranken eines Gerichts keinerlei Reue über die ihnen vorgeworfenen Gewaltexzesse empfinden?
Kriegserziehung und Auslandseinsätze fördern leider Tendenzen zu Oberflächlichkeit und Verrohung. Korpsgeist und Angst überlagern - um es einmal so auszurücken - Fehlverhalten und Skandale, die stets nur durch Zufall und dank kritischer Journalisten ans Tageslicht kommen. Das Coesfelder Lügengebäude der angeklagten militärischen Vorgesetzten bricht vor Gericht bereits zusammen. Aber ob diese Kammer, vor der die Verhandlung stattfindet und die ja erst durch das zuständige Oberlandesgericht zur Prozesseröffnung gezwungen werden musste, konsequent Recht sprechen wird, scheint mir nicht sicher.

Vor der Bundestagswahl 1969 formulierte eine "Leutnant-70"-Bewegung, die in Hamburg entstanden war, neun für konservative Militärs gewiss schreckliche Thesen. Ein Kernsatz lautete: "Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der das Verhalten eines Vorgesetzten in Frage stellen darf und sein eigenes Verhalten von Untergebenen beziehungsweise von jedermann in Frage stellen lässt; ich möchte ein Offizier sein, der nichts selbstverständlich findet." Es ging um mehr Geist und weniger Korps-Geist. Ist in der heutigen Bundeswehr noch irgendetwas davon erhalten geblieben?
Vom Geist der Bewegung, an die Sie erinnern, ist kaum noch etwas zu spüren - eher von dem Ungeist der reaktionären Unnaer Hauptleute. Und der Satz von damals: "Ich will ein Offizier sein, der den Frieden nicht nur erhalten, sondern auch gestalten will", wird inzwischen bei vielen Offizieren eher mit der gefährlichen Illusion verknüpft, man könne Frieden und Demokratie mit Waffengewalt erzwingen, statt vorbeugende, zivile Konfliktlösungen zu suchen.

Der einstige Verteidigungsminister und spätere Kanzler Schmidt wollte durch Reformen verhindern, dass die Bundeswehr sich gegen die - wie er es nannte - Entwicklung in der Gesamtgesellschaft abschottet. Wie ausgeprägt ist im Moment die Tendenz bei der Bundeswehr, Staat im Staate sein zu wollen?
Man sollte bei Helmut Schmidt freilich auch seine Nachrüstungspolitik nicht vergessen, die ich seinerzeit strikt abgelehnt habe. Aber als Verteidigungsminister hat er gewiss fortschrittliche und liberale Reformen in den Streitkräften angestoßen, die dann bei Nachfolger Georg Leber teilweise versiegten und bei Hans Apel vollends unter die Räder kamen. Die Wende mit der Regierungsübernahme von Helmut Kohl sorgte dann in den achtziger Jahren für eine Entpolitisierung und ein konservativeres Denken in der Bundeswehr. Allerdings sehe ich momentan keine unmittelbare Gefahr, dass die Bundeswehr zum "Staat im Staate" werden könnte. Aber eine fortgesetzte Kontrolle der Streitkräfte durch das Parlament, die Bürger und die Medien bleibt eine wichtige Forderung.

Nun hat gerade der Münchner Oberstleutnant Jürgen Rose erklärt, er verweigere eine dienstliche Mitwirkung am Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Vor nicht allzu langer Zeit hat das Bundesverwaltungsgericht das Recht des Majors Florian Pfaff anerkannt, sich der logistischen Unterstützung für den US-Krieg im Irak zu versagen. Haben diese zweifellos mutigen Offiziere jetzt Nachteile zu erwarten? Ich will nur daran erinnern, dass Pfaff trotz guter Beurteilung nicht befördert wurde.
Florian Pfaff und Jürgen Rose sind aufrechte, demokratisch gesinnte und rechtstreue Offiziere, die nicht zuletzt dem Arbeitskreis "Darmstädter Signal" angehören. Ihr Mut wird Ihnen berufliche Nachteile bei Einsatz und Beförderungen einbringen, wie wir es früher schon bei Major Volker Thomas und Hauptmann Klaus Mulch erlebt haben - und wie auch ich das selbst erfahren musste. Es gilt leider immer noch: Ein friedenspolitisches Engagement ist nicht sonderlich karrierefördernd - aber gelebte Demokratie!

Das Gespräch führte Hans Wallow